Wisst ihr was? Ich mochte es wirklich zu stillen. Nicht nur, dass ich wie im Fluge den Großteil meiner 33 Schwangerschaftskilos verlor, nein, ich liebte einfach dieses unsichtbare, magische Band der Verbundenheit zu meinem Baby.
Zu dem Zeitpunkt, als man mir die Pistole auf die Brust setzte und meiner eigenen Gesundheit wegen zum Abstillen riet, war mein Sohn bereits neun Monate alt. Ganz ehrlich? Demnächst hätte ich bestimmt eh abgestillt. Aber so hatte ich mir das Ganze definitiv nicht vorgestellt…
Tag 1 / 01.11.2016
Ich befinde mich im Krankenhaus. Verdacht auf eine seltene Autoimmunerkrankung. Seit zwei Tagen bin ich bereits hier. Ich bin müde, habe Hunger und vermisse mein Kind so sehr, dass es weh tut. Es fühlt sich irgendwie alles wie ein schlechter Scherz an. Immerhin geht es mir dank der Medikamente deutlich besser. Diese vertragen sich leider nicht gut mit dem Stillen, weshalb ich vorerst abpumpe und die Milch wegschütte.
Ständig kommen Ärzte in das Zimmer. Entschuldigung, aber wann kommt denn endlich der Männe, frage ich mich. Wollten die nicht vor einer Stunde losgefahren sein?!
Es klopft. Wieder kein Männe. Ich bin latent aggressiv. Ob das an den vielen Medikamenten liegt? Mal wieder ein Arzt. Immerhin stehe bald meine Entlassung an. Die Medikamente müsse ich jedoch noch monatelang einnehmen. Ach ja, und das mit dem Stillen solle ich besser sein lassen. Das vertrüge sich nicht gut mit meinem gesundheitlichen Zustand und all den Medikamenten. What?! Weiß nicht, was ich denken soll. Es klopft mal wieder. Endlich betreten der Männe und Fred den Raum. Mein Baby schmiegt sich an meine Brust und fängt ganz bitterlich an zu weinen.
Tag 2 / 02.11.2016
Tag der Entlassung. Meine Brüste tun trotz Abpumpen so weh. Ich schaffe das nicht. Das ist alles Zuviel für mich. Ständig muss ich weinen. Ich frage nach Abstilltabletten, aber der Arzt rät mir davon ab. Der Männe holt mich ab, die Anschnallgurte im Auto schmerzen wie Folterinstrumente. Wir fahren in die Apotheke und kaufen Phytolacca. Eigentlich ist Homoöpathie nicht so mein Ding, aber alles besser, als weiterhin wie ein heruntergekommener Pornostar nach misslungener Brust-OP auszusehen. Ich komme Zuhause an, mache mir einen Glühwein (nach monatelanger Abstinenz habe ich keine alkoholhaltigen Alternativen auf Lager – sei’s drum) und rufe verheult eine Freundin an. Abends legen wir uns alle gemeinsam ins Familienbett …
Tag 3 / 03.11.2016
Die Nacht war beschissen. Ach, mehr als das. Jede halbe Stunde wurde Fred wach. Eine Thermoskanne stand zwar neben dem Bett, aber das Wasser war zu heiß und ich hatte zu wenig kaltes Wasser zum Mischen parat. Uff, trinkt das Kind aber viel! Viel mehr, als ich sonst in der Brust hab’. Ist das normal? Nach einer halben Stunde wieder Gebrüll. Ob da noch Reste in der Flasche sind? Nein. Ich stehe auf, um in der Küche eine neue Flasche zu machen. Ich bin so fertig und höre beim Heraustreten des Schlafzimmers noch den Spruch „also bei mir war er in den letzten Tagen nachts ruhiger“. Mir bleibt ein Kloß im Halse stecken. Bis zum Morgengrauen (wie passend das Wort sein kann…) wacht das Kind noch acht bis neunmal auf. Vormittags schlafe ich neben dem Kind beim Spielen auf der Spieldecke ein, wache aber auf, als er mir auf Brüste haut. Für einen kurzen Augenblick glaube ich, sie könnten explodieren. Ich pumpe ein letztes Mal ab. Meine Mama kommt und geht mit Fred spazieren, ich gehe Baden und streiche aus. Mit in der Badewanne ein Glas Wein. Nur so für’s Gefühl. Mein kleiner Trost. Abends gehe ich mit einem sehr unbehaglichen Gefühl schlafen.
Tag 4 / 04.11.2016
Ich werde nicht enttäuscht. Die Nacht war schlimmer als die davor. Nur, dass mein Männe mal wieder beruflich unterwegs ist und ich mit dem kleinen Schreihals alleine bin. Er leidet. Ihm fehlt etwas. Er weint so viel. Tagsüber genauso wie nachts. Ich gucke in sein kleines sorgenschweres Gesicht, in die vom Weinen ganz angeschwollenen Augen und höre sein „Mammaaaa“ – und ich wünschte mir für eine Sekunde, ich würde ihn weder hören noch sehen. Ich hätte mich nie getraut es damals auszusprechen, aber: So leid er mir auch tut, so sehr nervt er mich auch gleichzeitig! Mein eigenes Kind bringt mich gerade um den Verstand. Kann er mir nicht mal eine einzige ruhige Minute gönnen? Ich bin doch schließlich krank und muss diese kack Diagnose verkraften?! Ich schäme mich für das Gefühl. Ich weiß auch, dass ich ihm gerade nicht die Mutter sein kann, die er braucht. Beim Windelwechseln knallt mir dann auch noch der bis oben hin vollgestopfte IKEA-Windeleimer vom Wickeltisch. Überall Windeln. Ich nehme Fred und setze mich mit ihm zwischen all die Windeln und kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Meine Freundin Elisabeth ruft an. Freds Patentante. Kurze Zeit später steht sie vor meiner Haustür und sammelt mich und mein Kind ein. Wir fahren zu ihr. Wir schauen Bridget Jones und kuscheln gemeinsam im Bett mit unseren Söhnen. Irgendwann schlafen wir ein …
Tag 5 / 05.11.2016
Uff, fünfmal muss ich nachts die Flasche geben. Meine Freundin übernimmt einmal. Oder zweimal. Oder dreimal? Keine Ahnung. Geteiltes Leid = geteilte Augenringe. Ich bin so k. o., dass ich morgens nicht einmal mitbekomme, dass sie den Kleinen mitnimmt, füttert, anzieht und die Wohnung verlässt. Irgendwann gucke ich auf die Uhr und stelle fest, dass es 09:30 Uhr ist. Ich bin beglückt. Ich laufe wie auf Wolken. Das tat gut. Der Tag verläuft ruhiger. Ich bin froh, mein Kind hin und wieder in die Arme seiner lieben Patentante zu geben. Ach was sag ich: Ständig! Und ich bin nicht nur froh, ich liiiebe es! Wir trinken einen Hugo (eine gelungene Alternative zu den 20 Liter Salbeitee, die ich momentan täglich in mich hinein quäle) und bespaßen gemeinsam die Kinder. Mein Männe kommt gegen Abend wieder. Er sammelt mich und Fred ein und wir fahren gemeinsam nach Hause. Mir graut es vor der Nacht. Sobald die Boys eingeschlafen sind, schleiche ich mich ins Wohnzimmer. Dort schlafe sofort ein. Und schlafe durch. Das erste Mal seit neun Monaten …
Tag 6 / 06.11.2016
… aber nicht nur ich habe durchgeschlafen, nein, Fred auch. Oh Wunder. Ich bin so happy, fühle mich jedoch gleichzeitig wie ein Versager. Warum schafft der Männe es bitte, das Kind zu beruhigen und ich nicht? Ich bin doch die Mama! Er beruhight mich sagt mir, es läge wahrschienlich daran, dass ich noch so nach Milch riechen würde. Ich könne da gar nichts für. Hm. Ist ok. Darauf kann ich mich einlassen. Er macht mir zudem ein Kompliment zu meinen inzwischen etwas geschrumpften Brüsten. Bitte was?! Versucht der mich hier gerade anzubaggern? Glaubt der etwa, nur weil meine Möppis seit gefühlten fünf Minuten nicht mehr Fred gehören, hätte er wieder Anspruch darauf?! Entschuldigung, aber ich fühle mich verarscht! Ich gehe ins Bad und betrachte die beiden im Spiegel. Nicht mehr so stramm wie früher, aber auch nicht so schlimm, wie ich es mir ausgemalt hatte. Irgendwie tiefer gelegt. So wie bei ’nem Auto. Steht der Männe etwa deshalb darauf?
Tag 7 / 07.11.2016
Wieder eine Nacht durchgeschlafen. Zwar erneut auf dem Sofa und statt eines Babys eine Katze im Arm, aber unter uns, daran könnte ich mich gewöhnen. Ich gehe wie jeden Morgen duschen und streiche aus. Meine Brüste verändern sich bereits. Sie werden weicher. Meine Augenringe verändern sich ebenso. Weniger tief. Geht es jetzt etwa bergauf? Ich fühle mich körperlich besser. Fred sich scheinbar auch. Er interagiert jetzt irgendwie mehr mit seiner Umwelt, ist weniger stark auf mich fixiert. Kann das sein? Ist das gut? Es verunsichert mich, aber er wirkt befreit. Endlich wieder glücklich. Tagsüber will er die Flasche selbst halten, abends kuschelt er sich in meinen Arm ein und schläft das erste Mal ruhig und gelassen beim Fläschchengeben ein.
Es sollte noch weitere sieben Tage dauern, bis sich meine Brüste endlich beruhigt und die Kündigung akzeptierten hatten – als Abfindung gab es immerhin einen neuen BH. Zwei Nummern kleiner als vorher. Aber zumindest ohne diese verhassten Träger zum Aufklippen.
Habt einen schönen Abend,
Mimi
Einfach toll geschrieben Mimi, ich hatte Tränen in den Augen und habe es gefühlt. So richtig. Da drin in mir.. ich Bin froh, dass es bei euch genauso ist, wie bei uns.. diesss Gefühl, zu versagen- obwohl es niemals Versagen ist!!! Toll, dass du eine tolle Patentante für Fred hast. Einfach gehandelt, anstatt zu fragen!!! Und das war Warscheinlich genau das richtige…
Helooo
Fluch und Segen zugleich das
Stillen…. Musste nach drei Monaten auch aufgrund einer krankheits Geschichte abstillen… Der arme Dude..Von 100 % muttemilch zu 100% Pre .. Allerdings hatten wir, also der Kleine und ich ; einen Vorteil…Er war die Flasche gewohnt ( da ich zu viel Milch gab wurde schon immer abgepumpt) .. Doch die Entscheidung jetzt nicht mehr die “milchkuh” für ihn zu sein schmerzte mich.
Kurz um nach langsamen abstillen.. gehören mir jetzt meine brüste .. Dem Dude geht’s prächtig.. lg
Ach, du liebe! Danke für deine ehrlichen Worte. Ja, uns geht es mit der Entscheidung inzwischen auch super, aber damals war das schon irgendwie heftig… Gut, dass dein kleiner Dude es im Endeffekt gut angenommen hat.
Und, hey, gibt schlimmeres, als dass einem die Brüste wieder gehören, wa?! 😉
Liebe Grüße
Mimi
Hi Sandra,
danke für deinen lieben Kommentar. Ja, du sagst es. Manchmal kommt es einfach anders als man denkt. Genau dann ist es gut, wenn man weiß, dass man Menschen hat, auf die man sich verlassen kann… <3
Liebe Grüße
Mimi