Der sogenannte Social Media Glamour!
Alle sehen schön aus. Alles sieht perfekt aus – die Getränke, das Essen, die Wohnung, die Fotos. Je mehr Follower man hat, desto mehr tolle Dinge bekommt man zugeschickt und daraus entwickelt sich schon fast so etwas wie eine Sucht. Der Paketbote ist inzwischen ein enger Freund geworden, der auch mal mit auf dem Foto landet und die Stimmung des aktuellen Tages ist davon abhängig, wie viele Pakete er wohl heute vorbeibringen wird. Erfolgreiche Blogger – von denen es in Deutschland maximal eine Handvoll gibt – verdienen 6 -7-stellige Summen im Jahr alleine damit, ihr Leben (selektiv) zu teilen. Auf tolle Events zu gehen, in Luxushotels eingeladen zu werden oder Autos und teure Handtaschen geschenkt zu bekommen. Sie posieren in teuren Kleidern im Wert eines Kleinwagens vor der Kamera ihrer persönlichen Fotografen (oft Lebenspartner, ist euch das schonmal aufgefallen?) und werden plötzlich als gefragtes Model für die Laufstege dieser Welt gebucht.
Die Zahl der selbsternannten Blogger und mehr oder weniger professionellen Blogs wächst täglich und kann man es den jungen Mädchen übel nehmen, wenn “Blogger” oder auch “Influencer” seit neustem der genannte Berufswunsch Nummer 1 ist (an erster Stelle bei den Jungs steht übrigens der Berufswunsch Gründer….) Ihre Vorbilder sitzen schließlich auch nicht von 08:00 – 17:00 Uhr in stickigen Büros oder an der Kasse im Supermarkt, sondern reisen in schicken und teuren Klamotten um die ganze Welt.
Auch ich habe mich dazu entschieden, auf Instagram die schönen Seiten des Lebens zu zeigen aus dem einfachen Grund, weil ich schöne Fotos und schöne Dinge liebe und die Momente, in denen es mal nicht so läuft lieber für mich behalte. Das hat nichts damit zu tun, dass ich eine Scheinwelt aufbauen möchte, ganz im Gegenteil. Das ist eine Einstellungssache. Auch im wahren Leben mache ich die Dinge lieber mit mir alleine aus, maximal noch mit meinem Mann. Es gibt sie aber, die Accounts, die sich dazu entschieden haben, ehrlich und frei Schnauze auch all die negativen Erlebnisse und Emotionen offen zu teilen und die damit ebenfalls sehr erfolgreich sind. Die, denen das perfekte Foto nicht so wichtig ist, die dafür aber auf die Realität á la #mehrrealitätaufinstagram setzen. Und das ist auch gut so, denn genau das macht die Social Media Welt aus. Und offensichtlich ist dieser Trend dazu auch noch sehr gefragt. Ehrliche Worte, ehrliche Bilder und ehrliche Meinungen sind beliebt wie nie! Reality Life vor Soap Opera!
Alle wollen ein Stück von dem Social Media Glamour abhaben, aber wie sieht es eigentlich wirklich dahinter aus. Was, wenn die Kamera und die Videofunktion mal ausgestellt sind? Was bleibt dann von diesem Glamour übrig? Ist dann immer noch alles schön, perfekt und gepflegt? Woraus zieht man dann seine Bestätigung und seine Energie? Seinen Lebensunterhalt? Was, wenn Kanäle wie Instagram, Facebook oder Snapchat eines Tages nicht mehr existieren? Was ist “The next big thing”? Wissen wir das schon? Springen wir früh genug auf den Zug auf? Womit beschäftigen sich denn die Teenies heute? Mit Musically? Bei aller Liebe, ich sehe mich nicht irgendwelche Songs playback unter eingeübten, hektischen Bewegungen vor der Kamera zu inszenieren….!
Ich würde mich selbst nie als Blogger bezeichnen. Ich bin in diese ganze Social Media Welt so reingerutscht, weil ich während des Mutterschutzes in meiner ersten Schwangerschaft Zeit hatte. Ich bin ganz einfach eine Frau, die nach bestem Wissen und Gewissen versucht, Familie, Kind und Beruf unter einen Hut zu bekommen und dabei sich selbst nicht komplett zu vergessen. Social Media hilft mir lediglich, den Kontakt zur Außenwelt nicht komplett zu verlieren, schöne Dinge zu entdecken und auf dem Laufenden zu bleiben. Und dank Instagram habe ich sogar richtig liebe reale Menschen kennengelernt, die ich in meinem Leben nicht mehr missen möchte! Ich hatte nie das Ziel, einen erfolgreichen Social Media Kanal aufzubauen oder gar Geld damit zu verdienen und möchte an dieser Stelle auch betonen, dass das nicht der Fall ist. Ich wollte immer einfach nur Spaß und Freude daran haben.
Als ich von meiner zweiten Schwangerschaft erfuhr dachte ich “Wie cool! Jetzt findet hier endlich wieder ein richtiger Austausch statt und ich muss mir keine Ideen mehr aus den Fingern saugen. Babybauch und Kleinkind ist ja wohl Thema genug”. So wie damals in meiner ersten Schwangerschaft nur, dass ich meine Schwangerschaft dieses Mal fotografisch viel besser und schöner begleiten wollte. Aber wisst ihr was, das ist nicht passiert. Der Auftrieb hat nicht stattgefunden, denn ich habe gar keine Zeit, mich meiner 2. Schwangerschaft so intensiv zu widmen wie meiner 1. Little G fordert alle Aufmerksamkeit. Neben Kind arbeite ich ja auch noch und ehrlich gesagt… es gibt auch bei weitem nicht mehr so viele Fragen wie beim ersten Mal. Ich weiß doch jetzt – vermeintlich – wie es geht. Das Ding mit der Schwangerschaft und auch mit der Geburt. Ich weiß doch ganz eindeutig, was mich erwartet. Worüber soll ich mich also zum Thema Schwangerschaft & Geburt noch austauschen? Der Grund, warum ich damals überhaupt bei Instagram gelandet bin. Dazu kommt, dass ich inzwischen so viele Follower habe, dass ich mit der Kommunikation kaum noch hinterherkomme – es sei denn, ich mache den ganzen Tag nichts anderes. Aber das möchte ich nicht und das schaffe ich auch gar nicht.
Und deshalb brauchte ich eine Pause! Eine Pause von meinem Handy, eine Pause davon, jeden Tag zu überlegen, mit welchem Foto ich wohl am besten mehr Likes und neue Follower dazu gewinnen kann. Eine Pause davon mit meinem Mann zu streiten, warum ich schon wieder mein Handy in der Hand habe oder warum er schon wieder ein Foto von mir schießen soll – und wir wissen alle, ich frage ihn nur, wenn es unbedingt sein muss. Also so alle 4 Wochen 1 mal.
Wann genau ist das passiert? Wann ist meine eigentliche Freude am Austausch über Instagram ins Stocken geraten? Ganz ehrlich, ich kann es gar nicht sagen. Ich weiß nur, dass irgendwann der Moment kam, an dem ich nur noch beobachten konnte, wie andere Accounts an mir vorbeigezogen sind. Und ich voller Neid dabei zugesehen habe. Und wisst ihr was? Ich kann es diesen Mädels noch nicht mal übelnehmen, denn die Accounts sind toll! Wunderschöne Fotos, selbstbewusste Frauen, zuckersüße Kinder, spannende Ereignisse, tolle Geschichten und Erlebnisse und dann frage ich mich: Warum sehen manche Leute selbst dann noch mega gestyled und einfach schön aus während sie sich gleichzeitig darüber “beschweren” wie hart das Mamaleben ist. Dass sie wieder mal die ganze Nacht nicht geschlafen haben. Wie anstrengend es ist, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen. Wie schaffen es diese Mädels so wunderschöne Kinderzimmer zu gestalten und wir haben nicht mal eines. Wie kann es sein, dass diese Frauen morgens noch gespannt und voller Vorfreude vor ihrem Kleiderschrank stehen und überlegen, was sie heute am liebsten anziehen möchten oder welche Lippenstiftfarbe wohl am besten zum heutigen Outfit passen würde? Die Nägel gepflegt, die Frisur perfekt, die Wäsche gewaschen, das Haus aufgeräumt und der Kuchen steht auch schon auf dem Tisch. Und ich? Wie passe ich da eigentlich rein?
Ich habe nie ganz aufgehört, Präsenz zu zeigen – dafür bin ich auch viel zu neugierig. Wenigstens ein Foto hier und da musste es mal sein. Das Problem ist, selbst mit den Fotos bin ich nicht zufrieden, da meine Ansprüche an schöne Fotos inzwischen so hoch sind, dass ich die mit meinen nicht-existenten Fotokenntnissen und meiner unzureichenden Ausstattung gar nicht erreichen kann. Hätte ich nicht in der Zwischenzeit so tolle Shootings gehabt, hätte ich wahrscheinlich auch das einfach gelassen – aufgrund fehlenden Bildmaterials. Auf den Videos in den Instastories kann ich mich selbst nicht besonders leiden und dabei entwickeln sich gerade die mehr und mehr zu einem wichtigen “Erfolgsfaktor”. Auch ich schaue mir inzwischen lieber mal schnell ein Video an als durch die Bilder zu scrollen. Oder noch schlimmer, aktiv und zeitraubend auf die Profile gehen zu müssen, deren Fotos mir von alleine gar nicht mehr angezeigt werden. Nie ist das Licht perfekt oder die Haut glatt genug, die Frisur sitzt nicht und graue Haare blitzen durch, weil ich es mal wieder nicht zum Friseur geschafft habe. Irgendwann in den letzten 6 Monaten habe ich wieder angefangen, an meinen Fingernägeln rumzupulen und entsprechend sehen die auch aus – da ist nicht großartig etwas zum Lackieren da. Und dann erst meine Stimme…. Die habe ich immer schon gehasst und da kommt mir der Videotrend natürlich nicht gerade entgegen. Ich habe riesige Kleiderschränke voller Klamotten, greife aber immer zu den gleichen 10 Teilen und denke aktuell ernsthaft darüber nach, einfach mal alles rauszuschmeißen. Schminken? Kann ich nicht und es interessiert mich auch nicht. Kochen – das was ich gerne koche, isst meine Tochter zur Zeit nicht, ist also vergebene Zeit und Liebesmühe. Backen – wollte ich eigentlich jeden Sonntag, mache ich aber doch nicht. Und so zieht sich der rote Faden weiter durch meinen Alltag.
Ich brauchte eine Pause, weil ich plötzlich mit Selbstzweifeln zu kämpfen hatte wie wie in meinen besten Teeniejahren. Ich, die ich jahrelang mehr als selbstbewusst meine Karriere vorangetrieben habe, dadurch immer dauerbeschäftigt war und daraus meine Energie und Bestätigung gezogen habe traute mich kaum noch, ein Insta Video von mir hochzuladen. Jetzt nach ziemlich genau 2 Jahren aus meinem alten Job ist mir doch tatsächlich zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, dass mein gesamtes Leben jetzt ein anderes ist und es auch nie wieder so sein wird, wie es mal war. Mein Mann und ich haben uns gemeinsam dazu entschlossen, unsere Kinder nicht fremderziehen zu lassen, nur weil wir beide weiterhin 90 Stunden die Woche arbeiten wollen. Einer von uns musste darauf verzichten und das bin in unserer Beziehung ich und ich bin dankbar, dass ich überhaupt diese Wahl und Möglichkeit habe. Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass ich mich mal wieder auf mich selbst konzentrieren muss, um mich neu zu ordnen und um mir einen neuen Platz in unserem neuen Leben zu schaffen. Wir erwarten Baby Nummer 2 und ich freue mich mindestens genau so sehr darauf wie auf Baby Nummer 1 – und das werde ich jetzt auch genießen.
Ich habe ein ganz wundervolles Leben mit einem tollen Ehemann, einer fröhlichen Tochter und schon ganz bald Kind Nummer 2. Wir sind alle gesund, leben in einem schönen Heim und auch, wenn nicht immer alles perfekt läuft oder ich nicht immer perfekt aussehe, so sind wir doch glücklich! Und nur darauf kommt es an. Perfekt unperfekt lautet mein neues Motto und genau damit nehme ich auch meine Freude an Instagram wieder auf und werde ab sofort wieder aktiver sein. Ohne Druck, ohne dabei ständig mein Handy in der Hand zu halten und vor allen Dingen auch, ohne mich von all den – vermeintlich – perfekten Bildern beeinflussen zu lassen!
Mein Leben spielt nicht im perfekten Social Media Glamour, es spielt in der Realität! In unserem perfekten unperfekten Leben! Ich freue mich, dass ihr daran teilhaben möchtet und auch über jedes Herz und jeden Kommentar, den ihr mir hinterlasst. Schön, dass ihr da seid!
Alles Liebe
eure Janine
Liebe Janine,
ich bin eigentlich eher stille Mitleserin, Beobachterin, aber diesmal möchte ich Dir einen Kommentar da lassen, denn zu Deinem Artikel fällt mir sofort folgendes Zitat ein:
“Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.”
Søren Aabye Kierkegaard
(1813 – 1855), dänischer Philosoph, Theologe und Schriftsteller
Auch ich verfolge die Entwicklung von Instagram und Co. (auch von Berufswegen her) und sehe das große Ganze sehr kritisch – vor allem, wenn ich daran denke, wie meine Tochter mit einem derartigen Medium aufwachsen wird. Da ist es sicher an uns Eltern, aufmerksam und nah dran zu bleiben.
Sei nicht so hart mit Dir selbst, bei anderen Menschen sieht man so oft über vermeintliche Schwächen hinweg, warum nicht bei sich selbst? Be kind to yourself!
WOW, liebe Janine. Ich liebe Deinen Artikel. Richtig richtig toll weil er so schön ehrlich ist.
Du warst mir in Berlin schon unfassbar nah. Jetzt noch mehr. Ich mag dich sehr
Sehr schön geschrieben. Ich bin mehr aus Langeweile zum Bloggen gekommen. Mein unkreativer Job mit viel zu vielen Zahlen nagte an meiner Stimmung und sie wurde durchs Backen behoben. So entstand mein Blog. Aber ich versuche nicht verbissen den Trends hinterher zu hechten, habe nicht vor mit dem Bloggen reich zu werden. Viel mehr ist es mein Hobby und etwas ganz für mich, keiner sagt mir dort was zu tun ist und keiner pfuscht mir da rein. Und ich muss es nicht teilen (schlimm wenn das Kind weiß was teilen bedeutet und es gegen einen einsetzt). Ich bezeichne mich als Blogger, aber egal was die Zukunft bringt – ich werde mich nicht verbiegen, für keinen einzigen Follower!
Liebe Grüße Kathy
Liebe Janine,
Du sprichst mir gerade so sehr aus dem Herzen! Mein Account liegt von den Zahlen noch weit hinter Deinem…und auch ich habe in den letzten 2 Wochen angefangen mit IG zu hadern. Ich fragte mich wie wichtig es ist die 124ste Designerhandtasche zu präsentieren oder dieses Must-Have für das Kinderzimmer, das sich die meisten von ihrem normalen Gehalt gar nicht in diesen Mengen leisten können. Auch die versteckten Kooperationen und das es auf 85% um Werbung geht und eben nicht mehr um Ausstausch stört mich sehr. Hallo Mark Zuckerberg…
Aber eben genau deshalb liebe ich deinen Account, authentisch und in meinen Augen wunderschön, da man spürt dass ihr eine tolle Familie seid!
Viele liebe Grüße, Sarah (2 Kinder & Vollzeitjob & ungeschminkt im Home-Office in den immer gleichen Klamotten ;))
Liebe Janine,
ich finde deinen Artikel großartig und wünsche dir, dass du deinen Flow beibehältst. Du machst das wunderbar.
Herzliche Grüße, Cornelia
Ganz,Ganz toller Beitrag! Es hat sich ein kleiner Kloß im Hals gebildet,weil ich genau nachempfinden kann was du meinst!! Immer dieses höher,besser,weiter strengt irgendwann nur noch an! Umso wichtiger ist es,sich auf die wichtigen Dinge zu besinnen!
Danke,für den Gedankenanstoss!